100 Milliarden & die Bundeswehr
27.3.2022
Wieso #DerAppell falsch liegt und was die tatsächlichen Herausforderungen für die deutsche und europäische Sicherheitspolitik sind.
Konsens zuerst: Es gilt, zukünftige Kriege zu verhindern. Und einem aggressiven Akteur gegenüber funktioniert das – nach dem Scheitern ziviler Krisenprävention und Diplomatie im Einzelfall – nur mit Verteidigung und Abschreckung.
“Der Appell” behauptet aber nun sogleich, dass Abschreckung bzw. Verteidigung mit konventionellen Waffen unter Nuklearblöcken gar nicht funktionieren würde.
Dabei begeht er gleich zwei größere Denkfehler. Nun ist besonders interessant, dass diese Problematiken in den sich verändernden NATO-Strategien zigfach durchdacht und diskutiert wurden. Das heißt freilich nicht, dass diese Ergebnisse dieser Diskussionen zwingend korrekt sind. Aber ihre Argumente sollte man kennen. Die Autoren des Appells kennen sie offensichtlich nicht.
In den 60er Jahren hat die NATO erkannt, dass eine Drohung alleine mit massiver nuklearer Antwort nicht gegen jede Form von Aggression glaubwürdig ist, weil die nukleare Antwort immer droht in eine gegenseitige Vernichtung zu eskalieren.
Praktisch formuliert: Ein Einbrecher wird sich nicht abschrecken lassen, wenn die einzige Drohung gegen ihn die Sprengung des Hauses ist. Der Einbrecher kann davon ausgehen, dass der Hauseigentümer sich für diese radikale Konsequenz nicht entscheiden wird.
Deswegen galt auch bis zum Ende des Kalten Krieges die flexible Response als gültige Strategie, die eben auch verschiedene Stufen konventioneller Antworten enthält. Der Grundgedanke gilt noch heute, ergänzend durch mannigfaltige Ebenen von Kooperation und Diplomatie.
Und richtig bleibt: vorrangig auf eine nukleare Antwort auf militärische Aggressionen zu setzen, ist nicht glaubwürdig. Der Aggressor kann immer darauf setzen, dass man diesen Schritt der Eskalation mit ihren erheblichen Risiken nicht gehen wird.
Der zweite Denkfehler bezieht sich auf eine langfristige Zielvorstellung. Gerade weil wir die erheblichen Risiken von Nuklearwaffen mit einer Eskalation mit existenziellem Ausmaß kennen, streben wir nach einer atomwaffenfreien Welt.
Einmal, weil der Schutz nuklearer Abschreckung gefährlich trügerisch ist, wenn einem Despoten zum Beispiel die eigene Existenz in seinem Zorn nicht mehr so vorrangig ist oder Pannen und Missverständnisse zur Katastrophe führen können.
Aber auch, weil wir gerade plastisch vorgeführt bekommen, was es heißt, ohne den Schutzschirm der Abschreckung gegen eine Nuklearmacht faktisch vogelfrei zu sein.
Deswegen hat Deutschland auch richtigerweise sein Engagement im Rahmen der Atomwaffenverbotsvertragsstrukturen erhöht.
Diese beiden Denkfehler des Appells führen zu dem eindeutigen Schluss, dass wir uns auch konventionell wirksam verteidigen können müssen.
Das heißt aber auch nicht, dass es richtig ist, nun einfach Geld in die Verantwortung des Verteidigungsministeriums zu werfen und auf eine sinnvolle Verwendung zu hoffen. Im Gegenteil müssen wir eine ganze Reihe von Diskussionen anstoßen, die wir auf nahezu keiner politischen Ebene im genügenden Maße führen:
1. NATO-Strategie: Es bedarf einer intensiven neuen Auseinandersetzung und Entwicklung einer Konfliktvermeidungs-, Verteidigungs- und Abschreckungsstrategie, die auf jetzige und zukünftige Bedrohungen ausgerichtet ist. Dazu gehört nicht nur die Analyse der Fähigkeiten und Absichten möglicher Aggressoren, sondern auch die Erweiterung des Blicks, sowohl thematisch, als auch zeitlich. Klima, Ernährung und Flucht gehören genauso zu den Herausforderungen, wie Entwicklungen, die wir in 50 oder 100 Jahren erwarten.
Aber auch im Bereich konventioneller Verteidigung und nuklearer Abschreckung muss neu gedacht werden. Sollte Russland sich auch zukünftig als konventionell-militärisch nur eingeschränkt leistungsfähig, aber eben mit vernichtender nuklearer Technik erweisen, sind möglicherweise bisherige Strategien nicht nützlich und in genügendem Maße konfliktvermeidend und -beendend.
2. Aufgaben der Bundeswehr: Sowohl aus der NATO-Strategie, als auch aus den weltweiten Verpflichtungen, insbesondere im Rahmen der UN, ergeben sich die Aufgaben der Bundeswehr und die Notwendigkeit bestimmter Fähigkeiten.
3. Zivile Krisenprävention: Wir müssen auch hier intensiver darüber reden, wie Krisenfrüherkennung und Krisenbekämpfung im Zusammenwirkung verschiedener beteiligter Ministerien organisiert sein muss und was hier die gestiegenen Bedarfe sind. Dazu gehören auch neue Herausforderungen und nötige Investitionen zum Beispiel in der Wissenschaft oder beim BND. In Ergänzung und Konkretisierung der Festlegungen im Ampel-Koalitionsvertrag muss deswegen auch bestimmt werden, welcher Teil der 100 Milliarden Sondervermögen und des Verteidigungsetats dorthin gelenkt werden muss.
4. BAAINBw entmachten. Es hilft nichts. Bei einer Aufgabe dieser Größenordnung fehlt die Zeit und das Geld, das bisherige Beschaffungswesen zu reformieren. Das bisherige Amt hat viel Geld versickern lassen und alleine zum Beispiel für den Bund derart ungünstige Verträge abgeschlossen, dass man sich das Versagen nur schwer anders als durch Korruption erklären kann.
Eine Beschaffungsagentur, die direkt dem/der Verteidigungsminister*in berichtet, eine kluge Mischung enthält aus kundigen Militärs, möglicherweise aus der ehemaligen Bundeswehrführung und den aktuellen jeweiligen Teilstreitkräften und Jurist*innen, die sich weniger dem Wohl der Rüstungsindustrie verpflichtet führen, könnte diesen Job machen.
Ausschreibungsverfahren verschlanken und den Einfluss von Wahlkreisabgeordneten auf Rüstungsverfahren reduzieren. Dazu muss auch das Schema der 25 Millionen Euro Vorlagen überarbeitet werden – ohne freilich die parlamentarische Kontrolle zu reduzieren.
Wenn diese vier Aufgaben erfüllt sind, können sowohl die 100 Milliarden Sondervermögen, als auch der langfristig erhöhte Verteidigungsetat sinnvoll verwendet werden.
Aber es ist bleibt gefährlich und sicherheitspolitisch wenig nachhaltig, hier die Reihenfolge umzudrehen.